SJM – Servi Jesu et Mariae

Unser Reflexionsprozess. Ein Zwischenbericht

In den vergangenen zwei Jahren betrachteten wir als Ordensgemeinschaft der Diener Jesu und Mariens (SJM) im Rahmen eines Reflexionsprozesses unsere Geschichte, unseren Dienst, unsere Stärken und Schwächen und nicht zuletzt unseren weiteren Weg.

Durch diesen Rückblick wollten wir unseren „geistlichen Kompass“ justieren, Fehlentwicklungen korrigieren und aus der Reflexion heraus Kraft und Klarheit schöpfen, wie wir unseren Weg mit der Kirche, in der Kirche und für die Kirche weitergehen. Wir griffen dankbar den Auftrag des vatikanischen Dikasteriums für die Ordensleute auf und ließen uns gerne von unserem Apostolischen Assistenten, Alt-Abt Raimund Schreier OPraem vom Stift Wilten, begleiten. Danke an dieser Stelle für sein Wohlwollen, seine Kompetenz, seine Unterstützung und nicht zuletzt für sein Gebet.

Einige unserer Fragen seien hier beispielhaft angeführt:

  • Welche Situation führte 1988 zu unserer Gründung?
  • Wie prägte unsere Geschichte den Orden?
  • Wie entfaltete sich das Charisma unserer Ordensgemeinschaft?
  • Welche Erfahrungen können wir bestärkend aufgreifen?
  • Welche Wege müssen wir mit größerer Sorgfalt beschreiten?
  • Welche Wege werden wir nicht weitergehen?
  • Worin sehen wir den besonderen Dienst unserer Gemeinschaft für die Kirche?

In den Reflexionsprozess war und ist unsere gesamte Gemeinschaft eingebunden. Das sind zurzeit rund 50 Mitbrüder, die in fünf Ländern wirken. Als Austauschforum nutzten wir vor allem unsere Studientagungen, bei denen sich die Mitbrüder regelmäßig treffen. Zusätzlich griffen die regionalen Kommunitäten die Themen auf und stellten ihre Ergebnisse wiederum der gesamten Ordensgemeinschaft zur Verfügung.

Besonders intensiv sprachen wir über die Geschehnisse in den ersten Jahren unserer Gründung, über Personen, Erfahrungen und Entscheidungen, die unsere Ordensgemeinschaft maßgeblich prägten. Dabei unterschieden wir das zu Klärende, das zu Bereinigende und das zu Bewahrende.

In diesem Zwischenbericht werden sechs Punkte festgehalten, die aufzeigen, wohin uns der Reflexionsprozess bisher geführt hat.

1. Reflektierter Umgang mit geistlicher Autorität

Nach menschlichem Ermessen wäre die SJM ohne die charismatische Persönlichkeit von Pater Andreas Hönisch nicht gegründet worden. Dafür sind wir ihm dankbar. Für viele Mitglieder der ersten Jahre war er Wegbegleiter ihrer Berufung. Auch außerhalb der SJM gab er mit seiner klaren und mitreißenden Art zahlreichen Menschen Orientierung. Sein Seeleneifer und seine spürbare Freude am Glauben spornten andere an, selbst missionarisch zu wirken. So schrieben ihm viele Gläubige eine hohe geistliche Autorität zu – ein Vertrauen, das oftmals auf die SJM und ihre Mitglieder übertragen wurde.

Geistliche Autorität ist ein wertvolles Gut. Sie kann Menschen wachsen lassen und sie auf ihrem Weg zu Christus unterstützen. Sie wird fruchtbar, wenn sie getragen ist von der Überzeugung der Größe des Menschen, der sein eigens Geschick verantworten kann und muss. Nachfolge Christi bedeutet darum auch, die Freiheit jedes Menschen unbedingt zu achten.

Es ist die unerlässliche Verantwortung des priesterlichen Seelsorgers, diese Freiheit zu schützen, zu entfalten und zu bestärken – je gewichtiger seine Autorität, umso herausfordernder. Diese Verantwortung verlangt Übung, Reflexion und gute Regeln. Rückblickend stellen wir fest, dass wir uns in der SJM dieser Verantwortung noch bewusster werden wollen. Heute sehen wir, wie unverzichtbar der sorgfältige und reflektierte Umgang mit geistlicher Autorität und wie notwendig Ausbildung und gewissenhafte Rechenschaft sind.

Papst Franziskus beschrieb in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ die Ausrichtung seelsorglicher Begleitung eindringlich: „In dieser Welt können die geweihten Diener und die übrigen in der Seelsorge Tätigen den Wohlgeruch der Nähe und Gegenwart Jesu und seines persönlichen Blicks wahrnehmbar machen. Die Kirche wird ihre Glieder – Priester, Ordensleute und Laien – in diese „Kunst der Begleitung” einführen müssen, damit alle stets lernen, vor dem heiligen Boden des anderen sich die Sandalen von den Füßen zu streifen (vgl. Ex 3,5). Wir müssen unserem Wandel den heilsamen Rhythmus der Zuwendung geben, mit einem achtungsvollen Blick voll des Mitleids, der aber zugleich heilt, befreit und zum Reifen im christlichen Leben ermuntert.“ (EG 169; siehe auch 170-173.)

Als hilfreiche und orientierende Maßgabe, ein solches Leitbild umzusetzen, sehen wir die Handreichung der Deutschen Bischöfe „‘…und Jesus ging mit ihnen‘ (Lk 24,15). Der kirchliche Dienst der Geistlichen Begleitung“ vom 22. Januar 2024, die sich in vielen Punkten mit den Ergebnissen unseres Reflexionsprozesses deckt. Wir werden diese Handreichung für unser Wirken weiter auswerten und in entsprechenden Schulungen zur Anwendung bringen.  

Wenn Menschen sich selbst und aus freien Stücken für Christus öffnen und Begleitung suchen, dann stehen wir in aller Demut an ihrer Seite. Geistliche Autorität kann sich nur dann heilsam entfalten, wenn sie bedingungslos im Dienst des Menschen und seiner personalen Entfaltung steht.

2. Einfachheit und Armut – im Rahmen einer geordneten Struktur

Die ersten Mitglieder der SJM kamen aus der Katholischen Pfadfinderschaft Europas. Ein Leben mit einfachen Mitteln und geringen materiellen Ansprüchen zählte zu den Gründungsideen. Wir wollten den evangelischen Rat der Armut in der neuen Gemeinschaft als konkrete Form der Nachfolge Christi leben. Mit dem Start im alten Pfarrhaus von Wickstatt und den ersten Jahren im ehemaligen Kapuzinerkloster in Mussenhausen (das sich baulich in einem teils desolaten Zustand befand) war bereits vom Rahmen her ein gehöriges Maß an Einfachheit und Anpassungsfähigkeit gefordert.

Die äußere Situation in unseren Niederlassungen hat sich im Laufe der Zeit stark geändert. Einfachheit und Armut sind nicht mehr die selbstverständlichen und quasi natürlich gegebenen Lebensumstände unseres Alltags.

Wenn wir heute den evangelischen Rat der Armut annehmen wollen, müssen wir das bewusster und gezielter umsetzen als in unseren Anfangsjahren. Im Rahmen des Reflexionsprozesses haben wir uns deshalb Gedanken gemacht, wie wir unseren einfachen Lebensstil als wesentliche Gründungserfahrung in der Gemeinschaft lebendig halten. Die großzügige Unterstützung der Gläubigen und die zuverlässige Sorge des heiligen Josefs, den wir als unseren himmlischen Ökonom verehren, dürfen unser persönliches Leben in Einfachheit und ohne Besitz nicht untergraben.

3. Unermüdlicher Einsatz – verbunden mit kluger Selbsteinschätzung der Kräfte

Pater Hönisch war ein unermüdlicher Arbeiter im Weinberg des Herrn. Wenn es darum ging, den Glauben zu verkünden, die Sakramente zu spenden, Katechese zu halten etc., scheute er (fast) keinen Einsatz, nahm keine Rücksicht auf persönliche Befindlichkeiten.

Bis ins hohe Alter begleitete er als Kurat die Zeltlager der KPE, war ungezählte Kilometer mit dem Auto unterwegs, predigte viel und hielt Einkehrtage. Auf diese Weise gab er den jungen Mitbrüdern das eindrückliche Beispiel eines ignatianisch geprägten Priesters – omnia ad maiorem Dei gloriam – und hat die SJM in diesem Punkt inspiriert, der uns bis heute prägt.

Freilich ergab sich daraus (oft unbewusst) auch die Erwartungshaltung, jedes Mitglied der Gemeinschaft habe ähnliches zu leisten. Als SJM mussten wir erst im Lauf der Jahre lernen – teils auch schmerzhaft – dass das überwältigende Maß dieses Einsatzes nicht jeder Berufung entspricht und eine entsprechende Erwartungshaltung Menschen sogar verletzen kann.

Gesucht ist eine Lebens- und Arbeitsweise, die zum Leistungsvermögen, zum Charisma, zur Berufung und zum Charakter jedes einzelnen Mitbruders passt. Gnade ersetzt nicht die Natur, sondern setzt sie voraus.

Unbedachte Verausgabung ist nicht heilig, sondern unklug. Großmut im seelsorglichen Einsatz und ein realistisches Urteil über die eigene Kraft – ein begeistertes Herz und ein kühler Kopf – gehören zusammen. In diesem Sinn sorgen wir ganz bewusst für ein Gemeinschaftsleben, das die Mitbrüder trägt und nicht verzehrt. Dazu gehört das geistliche Leben, das an erster Stelle stehen muss. Dazu gehört einsatzbereite Seelsorge. Und dazu gehören Zeiten der Muße und des Ausgleichs. Erst wenn dies alles seinen Raum im Leben hat, ist langfristig der Einsatz für das Reich Gottes „mit allen Kräften“ möglich.

4. Do it yourself – verbunden mit professioneller Unterstützung

Jede Neugründung braucht Pioniergeist und Improvisationsgabe. Beides brachte die erste Generation der SJM reichlich mit. In den ersten Jahren war in der SJM von den jungen Mitgliedern ein gehöriges Maß an Eigenständigkeit und Selbstverantwortung gefordert. In vielen Bereichen hieß das Motto Do it yourself und bis heute prägt diese Haltung ein Stück weit unser Selbstverständnis: Was wir an den alltäglichen Aufgaben selbst leisten können, versuchen wir – wo es sinnvoll möglich ist – selbst zu übernehmen, als Konkretisierung unseres Ideals der Einfachheit und Dienstbereitschaft.

In der Gründungszeit (und weit darüber hinaus) blieb damit freilich vieles unvollkommen und bruchstückhaft: etwa in Ausbildung, Begleitung oder Leitung. Das brachte auch problematische Konsequenzen mit sich: Jungen Mitgliedern wurde schnell große Verantwortung übertragen (in Pfarrei, Schule, Internat … aber auch als Verantwortliche im eigenen Ordenshaus), ohne ausreichend auf entsprechende Ausbildung zu achten oder passende Weiterbildungsangebote zur Verfügung zu stellen.

Bei Schwierigkeiten blieb man in der Lösungsfindung oft auf sich selbst gestellt. Bei internen Personalfragen wurden notwendige Entscheidungen aufgeschoben und wichtige Veränderungen versäumt. So konnten schwerwiegende Fehler geschehen.

Durch eigene leidvolle Erfahrungen haben wir gelernt, wie wichtig eine professionelle Ausbildung, kontinuierliche Begleitung, klare Strukturen und Rückgriff auf externe Fachexpertise sind. Heute versuchen wir, beide Aspekte in unserem Ordensleben zu verbinden: Wir halten einerseits die Gründungserfahrung der Selbstverantwortung und Eigenständigkeit in möglichst vielen Bereichen des Alltags präsent, gleichzeitig haben wir feste Strukturen aufgebaut, die wesentlichen Abläufe institutionalisiert und greifen bei entsprechenden Themen auf externe Unterstützung durch professionelle Fachkompetenz zurück.

Was das bedeutet, sei an der Frage dargestellt, wie wir mit Straftaten sexuellen Missbrauchs umgehen, die einem Ordensmitbruder vorgeworfen werden. Genannt seien an dieser Stelle fünf Säulen, auf die wir uns stützen:

  1. In unserer Seelsorge setzen wir die Regeln eines Präventionskonzepts um, das wir zusammen mit Fachleuten erarbeitet haben (siehe Schutzkonzept der SJM).
  2. Für Betroffene stehen unabhängige und professionelle Ansprechpartner zur Verfügung, denen sie sich anvertrauen können (siehe Ansprechpartner).
  3. Beschuldigungen melden wir der Staatsanwaltschaft, die entscheidet, wie ein rechtsförmiges Verfahren abzulaufen hat. Gleichzeitig setzen wir die kirchenrechtlich vorgesehenen Instanzen in Kenntnis.
  4. Bei Beschuldigungen, die die staatliche Justiz als verjährt erkennt, unterstützen wir eine Klärung im Rahmen eines externen Anerkennungsverfahrens.
  5. Wir kümmern uns mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten um Betroffene und bieten dabei auch die Hilfe externer Fachleute an.

Auch an dieser Stelle ermutigen wir mögliche Geschädigte, sich bei unserem unabhängigen Beauftragten oder einer Ombudsstelle zu melden. Und wir bitten alle Menschen, denen ein Ordensmitglied Unrecht zugefügt hat, um Verzeihung. 

5. Aus der Erfahrung von Ausgrenzung lernen – das Gute im anderen anerkennen

Die ersten Jahre der SJM waren von starken innerkirchlichen Polarisierungen geprägt. Die Neugründung unseres Ordens stieß nicht überall auf offene Türen. Vor allem in den 1990er entwickelte sich eine Situation, in der sich die SJM ausgegrenzt und missverstanden sah – teils auch als nachvollziehbare Reaktion auf undifferenzierte und pauschale Äußerungen unsererseits.

Durch die päpstliche Errichtung 1994 wussten wir uns zwar von der Kirche bestätigt, regionale Konfliktsituationen waren damit aber nicht automatisch gelöst.

Aus der Perspektive zeitlicher Distanz stellen wir fest, dass die Erfahrung der Ausgrenzung damals auf unserer Seite eine Tendenz des Schwarz-weiß-Denkens verstärkt hat. Komplexe Themen wurden von uns schnell vereinfachend in gut und schlecht, in Freund und Feind eingeteilt. Manchmal fehlte ein differenzierter Blick, der Schwächen oder Irrtum zwar sachlich benennt, aber am anderen auch das Gute anerkennt – und sich stets der eigenen Grenzen bewusst bleibt.

Wir mussten lernen, dass sich eigene Identität nicht durch negative Abgrenzung von anderen herstellen lässt. Wesentlich ist nicht, was wir anders machen als andere, sondern worin im positiven Sinn unser Selbstverständnis und Charisma bestehen. Dass es daneben viele andere Wege gibt, das Evangelium zu leben, bleibt davon unberührt.

So war und ist es ein wichtiges Ziel unseres Reflexionsprozesses, die eigene Identität durch den gemeinsamen Rückblick zu stärken und uns bewusst zu machen, welche Lebensweisen, welche Gebetspraxis, welche Katechesenformen und welche liturgisch-sakramentale Kultur uns bis heute bestimmend und fruchtbar geprägt haben und prägen.

6. Begleitung und Unterstützung zum alltagstauglichen Glaubensleben

Die SJM hat immer einen nüchternen Glaubensstil geprägt. Die Katechesen und Predigten von Pater Hönisch fokussierten auf die Kerninhalte des Credos, ihm waren die Vermittlung eines soliden Glaubenswissens und die Einübung einer alltagstauglichen Glaubenspraxis wichtig. Nicht die kurzfristige religiöse „Eventerfahrung“, sondern die kontinuierliche Formung des Alltags aus dem Glauben heraus war das Ziel seiner Seelsorge. Das hat auch unseren Stil der Seelsorge geprägt.

Unser Anliegen ist es, Menschen im persönlichen Kontakt einen möglichen Weg zu Christus zu eröffnen und die Gläubigen – Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Familien – in ihrem alltäglichen Glaubensleben zu begleiten, durch Pfarrarbeit, durch Einkehrtage und Exerzitien, durch Jugendarbeit und Familienseelsorge, durch Katechese und Begleitung von Pfadfindergruppen. Das ist oft unspektakulär… wie eben der Alltag. Aber dazu ist uns der Glaube geschenkt: Dass unser Leben durch die Gemeinschaft mit Christus hell und freudig wird. Bei der Entdeckung dieser besonderen Berufung wollen wir Menschen begleiten.

Ausblick

Die genannten Themen haben sich für uns geklärt, als wir uns im Rahmen des Reflexionsprozess bewusst mit unserer Gründungsgeschichte beschäftigt haben; manche Themen bedürfen einer weiteren Klärung und Vertiefung (z.B. Etablierung von internen Kontrollmechanismen, Weiterführung der Aktualisierung unserer Regeln etc.). Rückblickend stellen wir fest: Nicht alles in unserer Historie war perfekt; es wurden auch schwerwiegende Fehler gemacht. Und gleichzeitig ist für uns deutlich das Wirken Gottes erkennbar, und voll Dankbarkeit erkennen wir ein wertvolles Erbe, das uns anvertraut ist und das wir weiter entfalten wollen – zur Ehre Gottes und zum Heil der Seelen.