Selig die Sanftmütigen… – SJM – Servi Jesu et Mariae

Selig die Sanftmütigen…

Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben.“ Mt 5,5

1. „Selig die Sanftmütigen…“

„Sanftmut“ ist nicht die attraktivste Tugend. Ganz ehrlich: Wenn wir uns eine gute Eigenschaft für uns oder für unsere Kinder wünschen dürften – die Sanftmut wäre wohl nicht erste Wahl… Die Sanftmut hat manchmal den Verdacht der Verweichlichung und den Sanftmütigen wirft man vor, den Herausforderungen des heutigen harten Lebens nicht so gewachsen zu sein.

Oft wird Christen ja vorgeworfen, zumilde zu sein und einer Religion der Dulder anzugehören, anstatt für das Gerechte energisch zu kämpfen. Und auch aus dem zweiten Teil der aktuellen Seligpreisung („sie werden das Land erben“) erwächst der Vorwurf: „Vertröstung aufs Jenseits!“

Wer das Neue Testament ein bisschen im Ohr hat, der weiß, dass Jesus kein Drückeberger war. Die drei Jahre seines öffentlichen Lebens waren angefüllt mit Konflikten. Nämlich dann, wenn die Ehre Gottes und die Gerechtigkeit gegenüber den Menschen auf dem Spiel standen. Dann scheute er keine Auseinandersetzung, auch nicht mit dem damaligen „Establishment“ der Mächtigen. „Heiligen Zorn“ und Kämpfertum bei Jesus lernen wir z. B. in der Wüste gegenüber den Versuchungen Satans (Mk 1) kennen, bei der Tempelreinigung (Lk 19,45ff), aber auch gegenüber Petrus, als der ihn von der Erlösungs-Mission durch das Kreuz abbringen will (Mk 8,33).

Und doch: Obwohl sich Jesus bei der Erfüllung des Willens des Vaters kämpferisch zeigt – sein Herz ist „sanftmütig“ (vgl. Mt 11,29). Gerade an der Gestalt Jesu lernen wir: Sanftmut und Entschiedenheit für das Gute passen zusammen! Er ist der „Löwe Judas“ (Hos 5,14) und das „Lamm“ (Joh 1,29).

Das sehen wir bereits an einem der Vorausbilder Jesu, Moses. Um eine große Menge Menschen zu leiten, sind normalerweise enorme Führungsqualitäten notwendig. Klugheit, Mut zu unbequemen Entscheidungen, Tapferkeit. Ganz besonders gefordert waren diese Eigenschaften sicherlich bei einem Vorhaben wie dem Auszug der Israeliten aus Ägypten. (Abgesehen davon, dass gerade das Volk Israel als ein nicht einfach zu regierendes Volk galt, und in den biblischen Geschichtsbüchern selbst als „widerspenstiges Volk“ bezeichnet wird… vgl. Dtn 9,7.)
Moses greift sehr entschieden und zornig durch, als sich die Israeliten das goldene Kalb geschaffen hatten (Ex 32,19f). Gleichzeitig heißt es von Moses: „Mose aber war ein sehr sanftmütiger Mann, sanftmütiger als alle Menschen auf der Erde.“ (Num 12,3) Wir dürfen davon ausgehen, dass  Moses die Sanftmut bzw. die „Friedfertigkeit“ seines Herzens in seiner Berufung als Führer des Volkes Israel nicht behindert, sondern eher geholfen hat.

Wenn wir auf das wichtigste Ereignis im irdischen Leben Jesu schauen, die Erlösung der Menschheit, dann stellen wir fest, dass gerade hier die Sanftmut am hellsten strahlt – bei aller Entschiedenheit für das Gute! Christus bringt uns gerade dadurch den Frieden, indem er auf alle Gewalt verzichtet (vgl. Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth I, S. 111). Er tritt herrschaftlich auf, als König, aber eben als Friedenskönig. So wurde er auch schon im Alten Testament vorausverkündet:

„Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Gerecht ist er und Rettung wurde ihm zuteil, sanftmütig ist er und reitet auf einem Esel, ja, auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin.“ (Sach 9,9)

Wir wissen, wann sich diese Prophezeiung im Neuen Testament bewahrheitet: beim Einzug in Jerusalem, der gleichzeitig auch den Beginn der Passionszeit markiert und dann im Laufe der Woche nach Golgatha ans Kreuz führt. Jesus, der Friedenskönig, nimmt hier tatsächlich die Rolle des Opferlammes ein. Gegenüber Pilatus erklärt er sich als herrschaftlicher Friedenskönig, der ohne Probleme auf weltliche Macht zurückgreifen könnte. Aber er besiegt gerade durch seine Gewaltlosigkeit den stolzen Satan und übernimmt wieder die Herrschaft über die gefallene Welt.

Die Seligpreisungen gelten als „Kurzbeschreibung“ des Lebens und Wirkens Jesu. Gleichzeitig (bzw. gerade deswegen) sind sie auch ein Bild des von Christus erlösten Menschen. Wenn der Christ in die Fußstapfen Jesu treten will, dann muss für ihn auch diese dritte Seligpreisung gelten: „Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben.“ Am Beispiel Jesu sehen wir, dass dazu einerseits Aufrichtigkeit und Entschiedenheit im Kampf gegen das Böse gehört. Andererseits die sanftmütige Herzenshaltung und die Bereitschaft, durch das Ertragen von Leid an der Erlösung der Welt mitzuwirken.

2. „…denn sie werden das Land erben“

Im zweiten Teil der Seligpreisung geht es um den Landbesitz. Es liegt nahe, dass Jesus hier wohl nicht den Privatbesitz oder die Errichtung eines Nationalstaates meinte.

Papst Benedikt lenkt den Blick auf das Volk Israel, das in Ägypten in der Sklaverei lebt. Die Landverheißung bedeutet für die Israeliten zunächst einmal, „Recht auf Freiheit der Anbetung“. Es braucht eine Stätte des Gehorsams und einen für Gott offenen Raum. (Vgl. Jesus von Nazareth I, S. 113) Ähnlich verhält es sich bei Abraham, der an den Orten, zu denen ihn Gott geschickt hatte, ebenfalls zunächst den Gottesdienst im Blick hat und Altäre baut. (Vgl. Gen 12 und 13)

Während es bei Abraham und beim alttestamentlichen Volk Israel noch tatsächlich um klar begrenzte Örtlichkeiten ging, möchte das „Herrschaftsgebiet“ des Friedenskönigs Christus universal verstanden werden. Letztlich geht es um den Raum, in dem die Verherrlichung Gottes „zuhause“ ist und uneingeschränkt möglich ist. Am Ende der Zeiten wird er die ganze erneuerte Erde umfassen. Aber bereits hier gibt es Vorausbilder und „Brückenköpfe“: Schon am Anfang der Menschheitsgeschichte hat Gott einen solchen „Raum“ vorgesehen, der der Ehre Gottes vorbehalten war – der Sabbat, der Tag des Herrn. Für uns Christen ist der Sonntag der Tag, der dem Gottesdienst und der Anbetung dienen soll. Und Christus selbst hat bereits hier und jetzt, als „Vorentwurf des Landes des Friedens“, die Kirche gegründet, die insbesondere bei der Feier der Eucharistie eine solche „Stelle der Herrschaft des Friedenskönigs“ darstellt. (Vgl. Jesus von Nazareth I, S. 114)

Von P. Gabriel Jocher SJM