Meine erste Zeit in Kasachstan – SJM – Servi Jesu et Mariae

Meine erste Zeit in Kasachstan

von P. Gabriel Jocher SJM

Im Herbst 2023 kam ich nach Kasachstan, bald werden es zwei Jahre sein. Es war absehbar, dass sich die Redaktion unserer Ordenszeitschrift rühren würde, um einen Rückblick über meine erste Zeit in Südsibirien anzufordern…

Ich wohne in Nordkasachstan. Ca. 150 Kilometer nördlich von uns ist schon die Grenze zu Russland. Die Ortschaft heißt Korneevka und liegt auf dem Land! Die nächsten größeren Städte sind zwei Autostunden entfernt. Korneevka hat ca. 2000 Einwohner, überwiegend russisch-stämmige Menschen, und unsere kleine SJM-Kommunität mit P. Hans-Peter, der unser Oberer und gleichzeitig Pfarrer für unsere kleine Pfarrei in Korneevka und deren Außenstellen ist. Außerdem wohnt hier P. Leo, der Verantwortliche für den „Schulkomplex St. Lorenz“, der 1996 von einem Berliner Priester gegründet wurde und mittlerweile von unserer Ordensgemeinschaft und den Franziskanerinnen von Vöcklabruck getragen wird.

Das Gebäude, in dem wir wohnen, ist ein ehemaliges Bankgebäude und wird von den Leuten „Kirche“ genannt, obwohl der sowjetische Quaderbau eigentlich überhaupt nicht daran erinnert. Es ist aber was Wahres dran, denn im Erdgeschoss befindet sich unsere „Pfarrkirche“, die man von den Ausmaßen aber eher mit einer Hauskapelle vergleichen kann.

SJM in Korneevka

Wir leben hier als Missionare. Die Katholiken sind eine ganz kleine Minderheit. Die orthodoxe Kirche ist stärker vertreten, aber sie nimmt langsam ab, weil der nicht-christliche, muslimische Anteil der Bevölkerung in Kasachstan immer größer wird. Wenn man in Kasachstan auf die katholische Kirche aufmerksam machen will, muss man einfallsreich sein und überlegen, wie man in Kontakt mit Menschen kommt. Manche Pfarreien bieten Hilfen für sozial schwache Menschen an. Andere veranstalten regelmäßig geistliche Konzerte in der Kirche. Unser Mitbruder P. Eduard, der ja auch in Kasachstan tätig ist, leitet ein Werk zur Begleitung von ehemaligen Suchtkranken. Außerdem habe ich schon von Englisch-Sprachkursen, Treffen der „anonymen Alkoholiker“, außerschulischer Kinderbetreuung, Musikunterricht usw. mitbekommen.

Wir selbst haben die Schule „St. Lorenz“, die es ermöglicht, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sonst nie etwas mit der katholischen Kirche zu tun hätten. Natürlich sind das in erster Linie die Schüler, aber auch Eltern und Angestellte. An der Schule findet kein direkter Religionsunterricht statt (das wäre staatlich nicht erlaubt), aber sie ermöglicht uns, Kindern auf der Basis des christlichen Menschenbildes bei der Charakterbildung und beim Entdecken ihrer Talente zu helfen. Wenn auf diese Art und Weise Vertrauen und gute Beziehungen entstehen, ist das ein guter Nährboden, dass ein Mensch später den Glauben mit uns teilen und Jesus kennenlernen möchte.

Wir sind viel als Missionare unterwegs: Exerzitienarbeit, Dienst als Beichtväter, Einkehrtage, Jugendprogramm… Von Korneevka aus braucht man dafür einfach ein bisschen mehr Zeit, was planbar ist. Und halbwegs funktionstüchtige Autos. Aber auch hier dürfen wir uns nicht beklagen. (Ein großes „Danke“ an dieser Stelle an unsere Wohltäter!)

Mein Part

Zu Beginn meiner Kasachstan-Zeit war die erste Priorität das Erlernen der Sprache, in meinem Fall Russisch! Da bin ich immer noch dabei, aber es wird natürlich immer besser. Bei Spezialthemen bin ich allerdings noch überfordert: in der Autowerkstatt einen Defekt erklären, staatliche Dokumente verstehen, knifflige Seelsorgegespräche.

In unserer Pfarrei „Herz Jesu und Herz Mariä“ helfe ich als Priester. Wenn meine Mitbrüder „im Auftrag des Herrn“ unterwegs sind, halte ich die Stellung. Auch werden wir regelmäßig von unseren kasachischen Priester-Mitbrüdern um Aushilfen in deren Pfarreien angefragt. Da springe ich gerne ein.

Es gibt bei uns in der Diözese regelmäßig überregionale Treffen für Kinder und Jugendliche. Da werden wir SJMler sehr häufig mit eingeladen. Da die Pfarreien in Kasachstan meistens sehr klein sind, ist es immer eine schöne Erfahrung für die jungen Christen, sich in größeren Gruppen zu treffen und den Glauben gemeinsam durch Singen, Beten, Impulse und Austausch zu vertiefen. Und wenn es darum geht, ein ansprechendes Programm mitzugestalten, hilft mir meine Erfahrung in der Pfadfinderei sehr: Seilbahn, Geländespiel oder Kochwettstreit – diese „erlebnispädagogischen“ Mittel kommen bei den Jugendlichen immer gut an.

Unsere Schule darf das „Deutsche Sprachdiplom“ vergeben, das Schülern ermöglicht, in Deutschland oder Österreich zu studieren. Hierbei durfte ich ein paar Schüler mit vorbereiten. Dazu gehört auch eine Sprachreise, die die Zehntklässler im Sommer für drei Wochen nach Österreich bzw. Deutschland führt. Aktuell bereiten wir uns intensiv auf die diesjährige Fahrt vor. Wir werden zwei Wochen in Haus Assen mit unserem Deutschtraining verbringen, anschließend werden die Schüler in Berlin in Gastfamilien für eine knappe Woche wohnen.

Musikalisch kann ich mich vielfältig engagieren: In der Schule gibt es eine Gruppe von Kindern, die mit Freude Gitarre und Ukulele lernen. Zusammen mit unseren Volontären halte ich immer wieder Musikstunden.
Dann gibt es auch die Band „Kinotheater“ in Korneevka, wo Angestellte der Schule sich wöchentlich abends zum ungezwungenen Musizieren treffen. Neben weltlichen Stücken sind die Bandmitglieder genauso offen für religiöse Lieder, so dass immer wieder christliche Lobpreislieder zu hören sind.
Hin und wieder werde ich gefragt, sangesfreudige Jugendliche zu einem Chor zu formen – meistens zu einem speziellen Anlass, z.B. Jugendtreffen und besondere Feste. Das Üben kann anstrengend sein, aber zusammen mit der Kompetenz wächst auch die Freude am Singen bei den jungen Leuten. Die Schönheit geistlicher Musik ist ja ein sehr großer Verstärker für die Evangelisation, manchmal sogar der Türöffner, und weist auf ihre eigene Art auf die Schönheit und Größe Gottes hin.

Im Herbst 2023 bin ich nicht alleine nach Kasachstan gekommen: das Cello war mit dabei. Das Prozedere „Cello im Flugzeug transportieren“ war äußerst nervenaufreibend und möchte ich keinesfalls weiterempfehlen. Aber mittlerweile würde ich sagen, dass es sich gelohnt hat: Die Menschen auf dem Land kennen das Instrument zwar überhaupt nicht, aber zu besonderen Anlässen packe ich es aus und spiele entweder allein oder im Ensemble. Das öffnet die Herzen der Menschen.

Schließlich haben wir bei uns ein Volontariat, aktuell mit drei jungen Leuten. Mit ihnen gibt es immer wieder spannende Unternehmungen wie Reitausflüge, Wanderungen, Segelprogramm. Aber auch Austausch, Musizieren, oder das gemeinsame Leiten von unserem Jugendprogramm macht Freude. Es ist schön, einerseits zu sehen, wie die Volontäre aufgrund ihrer Jugend nochmal einen eigenen Zugang zu den Kindern und Jugendlichen haben und in den Dienst des Glaubens stellen. Und wie andererseits ein Volontariat in einem so fremden Land wie Kasachstan den Horizont eines jungen Menschen erweitert und zur Ausformung der Persönlichkeit beiträgt.

Korneevka, eine „geistliche Oase“?

Tatsächlich sehen viele unserer Gäste und Bekannte Korneevka als eine Art „geistliche Oase“. Dafür, dass wir uns „weit ab vom Schuss“ befinden, haben wir recht viele Gäste. Es kommen Priester, Ordensschwestern und katholische Laien, die um Exerzitien anfragen, Einkehrtage bei uns verbringen, oder einfach nur mal einen „Tapetenwechsel“ in geistlicher Gemeinschaft brauchen. Die ruhige Atmosphäre auf dem Land verstärkt diesen Faktor noch zusätzlich. Ebenso wie die zahlreichen Erholungs- und Sportmöglichkeiten der Schule, unserem großen See, dem uralten, aber funktionstüchtigen Segelboot, etc.

Wichtig für unsere Gäste ist wahrscheinlich auch, uns als Gemeinschaft erleben zu können und zeitweise Teil davon sein zu dürfen. Gastfreundschaft ist in Kasachstan ohnehin kulturell tief verankert und hat einen hohen Stellenwert. Sich als geistliche Gemeinschaft auf die unterschiedlichen Gäste einzulassen, wird als besondere Wertschätzung empfunden und als christliches Zeugnis verstanden.

Homepage Schule: www.sanctlorenz.com

Anmerkung der Redaktion: Kardinal Luis Antonio G. Tagle, Pro-Präfekt des Dikasteriums für die Evangelisierung (Sektion für die Erstevangelisierung und die neuen Teilkirchen), hat am 13. Mai 2025 P. Gabriel zum Nationaldirektor für die Päpstlichen Missionswerke in Kasachstan ernannt. Bereits im Mai 2025 nahm P. Gabriel am jährlichen Treffen aller Nationaldirektoren in Rom teil.