Von P. Martin Linner SJM
Ignatius und seine Gefährten waren aktive Ordensleute, sie lebten inmitten der Welt. Gerne sandte der Ordensgeneral seine Mitbrüder in religiöse, gesellschaftliche und akademische Brennpunkte, wenn er dort durch ihren Dienst mehr für die Ehre Gottes zu erhoffen glaubte.
Zugleich waren die Jesuiten geistliche, gottgeweihte Menschen, die von tiefer Christusverbundenheit geprägt sein sollten. Daher lautet ein Grundwort ignatianischer Spiritualität: »Simul in actione contemplativus« – bei aller rastloser Tätigkeit zugleich kontemplativ, mit Gott verbunden sein.
Der Jesuit Ehrhard Kunze drückt das so aus: „Ignatius wünschte, dass bei seinen Gefährten der tätige Einsatz in der Welt und die Verbundenheit mit Gott nicht auseinanderfielen und auch nicht bloß nebeneinander existierten, sondern dass sie eine innere Einheit bildeten. Gottesdienst und Weltdienst, Gebet und Arbeit, Mystik und Tat sollten nicht zwei getrennte Bereiche sein, sondern Gott sollte gerade im Handeln gefunden werden.“
Um in der Gottverbundenheit zu bleiben, ist ohne Zweifel das Gebet notwendig. Das betont Ignatius in den Exerzitien, wo er zur häufigen Betrachtung der Heiligen Schrift und der Geheimnisse Christi ermutigt sowie die Bedeutung der regelmäßigen Messfeier und des Sakramentenempfangs aufzeigt.
Aber Ignatius wollte mehr und ermahnte seine Mitbrüder „in allen Dingen Gott zu suchen, indem sie die Liebe zu allen Geschöpfen von sich entfernen, um sie auf deren Schöpfer zu richten und Ihn in allen Dingen zu lieben und alle [Menschen und Dinge] in Ihm“ (Satzung, 288). Diese innere Grundhaltung wurde zusammengefasst in dem Motto: „Invenire Deum in omnibus – Gott finden in allen Dingen“.
Der Herr sollte in den Momenten des Alltags gefunden werden. Während Gott in der Unscheinbarkeit des Gewöhnlichen zunächst abwesend scheint, hilft auch uns die ignatianische Spiritualität, selbst in den kleinen Dingen des Lebens ein Gespür für Gottes Gegenwart und Gnade zu entwickeln.
So schreibt Ignatius in einem Brief an die Studenten des Ordens: „Übt euch darin, die Gegenwart unseres Herrn in allen Dingen zu suchen, beispielsweise in der Begegnung mit anderen Menschen, im Gehen, Sehen, Schmecken, Hören, Verstehen und in allem, was ihr tut. Denn es ist wahr, dass seine göttliche Majestät mit Gegenwart, Macht und Geist in allen Dingen ist. Und auf diese Weise zu betrachten, indem man Gott in allen Dingen findet, ist leichter, als wenn wir uns mühsam zu den abstrakten göttlichen Dingen erheben“ (Briefe und Unterweisungen, 350).
Um das zu erlernen ist immer wieder eine gewisse Zeit der Stille und Besinnung wichtig. Daher verlangt Ignatius in den Ordenssatzungen, selbst wenn tagsüber aufgrund vieler Arbeiten kaum Zeit für das Gebet war, „zweimal täglich für die Erforschung des Gewissens“ (342) innezuhalten.

Man nennt diese kurze Unterbrechung der Tagesgeschäfte auch „Zeit der liebenden Aufmerksamkeit“. Denn es geht dabei um die Wahrnehmungen der Bewegungen Gottes in meinem Herzen sowie der Führungen und Fügungen, die er mir in den vergangenen Stunden geschenkt hat. Diese kurze Zeit von 5 – 15 Minuten wird Verstand und Gemüt schärfen, Gottes Gegenwart und seines Wirkens im Alltag leichter innezuwerden.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Ignatius dieses liebende auf Gott Schauen, dieses Entdecken, wie und wo er überall für mich am Werk ist, in besonderer Weise in der Betrachtung „Zur Erlangung der Liebe“ (Geistliche Übungen 230-237) beschreibt:
„Ich erwäge, wie Gott in den Geschöpfen wohnt, in den Elementen Dasein verleiht, in den Pflanzen wachsendes Leben, in den Tieren sinnliches Fühlen und in den Menschen geistige Einsicht. Und so auch in mir: Wie Er mir Dasein gibt, mich durchseelt, mir Sinne erweckt und geistige Einsicht verleiht.“
Dabei beschreibt er Gott als einen sich für mich „Mühenden“ und „Arbeitenden“: „Erwägen, wie sich Gott in allen geschaffenen Dingen auf der Welt um meinetwillen anstrengt und müht, das heißt, sich verhält wie einer, der mühselige Arbeit verrichtet. So in den Himmeln, Elementen, Pflanzen, Früchten, Herden usw., indem er das Dasein gibt und erhält, Wachstum und sinnliches Leben verleiht usw.“
Nicht zuletzt sind alle Tugenden und guten Eigenschaften Werke Gottes, die wir immer wieder im Leben des Alltags wahrnehmen dürfen: „Schauen, wie alles Gute und jede Gabe von oben herabsteigt, so wie auch meine beschränkte Kraft von der höchsten und unendlichen; und so auch unsere Gerechtigkeit, Güte, Frömmigkeit, Barmherzigkeit usw., wie von der Sonne absteigen die Strahlen, vom Quell die Wasser usw.“
Es ist bezeichnend, dass die Haltung des „Gott finden in allen Dingen“ in uns ein Bewusstsein der Güte, Liebe und Zugewandtheit Gottes erweckt, welches uns Vertrauen, Zuversicht und Geborgenheit bei allen Schwierigkeiten im Leben schenkt.
Der Jesuitenpater und Dichter Friedrich von Spee hat dieses ignatianische Lebensmotto in einem Gedicht 1634 zusammengefasst:
O Schönheit der Naturen, o Wunder Lieblichkeit!
O Zahl der Kreaturen, wie streckest dich so weit!
Und wer dann wollt nicht merken, des Schöpfers Herrlichkeit
Und ihn in seinen Werken erspüren jederzeit?
O Mensch ermess‘ im Herzen dein, wie Wunder muss der Schöpfer sein!
Nachtrag:
Wo kann ich Gott finden?
- Gott ist groß (Ps 104,1). Wir dürfen ihn in allem Großen, Schönen, Wahren suchen, in allem was uns begeistert, Freude macht und bewegt.
- In jedem Geschöpf findet sich die Spur des Schöpfers. Alle Dinge der Welt hat Gott für uns geschaffen, damit sie uns helfen, seine Güte tiefer zu erkennen. Selbst in den kleinen Dingen ist Gott gegenwärtig.
- Wir finden Gott auch in den „schmerzhaften Dingen“. Jesus hat unsere Schmerzen auf sich genommen und geheilt (Jes 53,4f). Im Leid sind wir ihm näher als sonst.
- Gott lässt sich zu allen Zeiten und an allen Orten finden. Daher können wir ihm überall im Beten und Arbeiten begegnen.
- Gott ist der Geber alles Guten. In jeder schönen Regung kann er gefunden werden: Hilfe, Mitgefühl, Freude, Trost, Hoffnung, Liebe, Barmherzigkeit…
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